Kolumne
«Glamour, mon amour»: Von Baby-Puppen und Barbie-Puppen

Unsere Kolumnistin durfte als Kind keine Barbie-Puppe besitzen, obwohl sie immer eine wollte. Dabei wollte sie mit Barbie nur der Verkindlichung ihrer Kindheit entfliehen.

Simone Meier
Simone Meier
Drucken
Babykörper statt Barbiekörper: Manche Eltern ziehen solche Puppen der amerikanischen Variante vor.

Babykörper statt Barbiekörper: Manche Eltern ziehen solche Puppen der amerikanischen Variante vor.

Keystone

Haben Sie ein Verhältnis zu Puppen? Ich frage bloss, weil ich in diesem Sommer wie Abermillionen andere Menschen im «Barbie»-Film war und ihn toll fand. Er warf mich innerhalb von Millisekunden in meine eigene Kindheit und zu meinem Problem mit den Puppen zurück. Es gab damals Baby-Puppen. Und Barbies. Und dazwischen dieses befremdliche Konstrukt aus einem Babykörper mit einem Mädchenkopf drauf, der leicht geschminkt war und welliges langes Haar hatte. Wenn man die Puppe schüttelte, machte sie ein unzufriedenes Babygeräusch. Der Rest erinnerte unheimlich an amerikanische Schönheitswettbewerbe für kleine Mädchen.

So eine Puppe hatte ich, obwohl mir eine Barbie tausendmal lieber gewesen wäre, aber Barbies waren verboten. Ich taufte die Puppe Julia. Und weil Julia keine erwachsene Frau darstellte wie Barbie, von der man wenigstens behaupten konnte, dass sie schon ein paar Jahre hinter sich und irgendeinen Plan im Leben hatte (Schönheitskönigin, Flugbegleiterin, Fernsehmoderatorin, Tennisspielerin oder Mannequin schienen mir die naheliegendsten zu sein), wusste ich nicht, was ich mit Julia anfangen sollte. Denn Babys interessierten mich einfach nicht. Ich hatte keine Gefühle, wenn ich ein Baby betrachtete, höchstens Panik. Mit sechs Jahren verkündete ich deshalb zum ersten Mal, dass ich niemals Kinder wollte. Man hielt das für putzig, exzentrisch und ignorant.

Ich musste also eine Rolle für Julia in meinem babyresistenten Kinderleben finden, und ich fand sie: Julia war krank. Immer. War eine schöne, stille, bedürfnislose, bleiche Kranke, in einem früheren Jahrhundert hätte man sie schwindsüchtig genannt. Sie sass mit offenen Augen und ohne das störende Babygeräusch zu machen aufrecht in einem kleinen Stuhl, und manchmal beugte ich mich mitleidig über sie, prüfte, ob sich die beweglichen Lider über ihren blauen Augen noch schlossen, kämmte ihr übermenschlich perfektes Haar, nähte ein neues Stück Spitze an eines ihrer Kleider und träumte von Barbies glitzriger Disco-Garderobe.

Barbie schien die Erlösung zu sein. Von einer Mütterlichkeit, die mir wie so vielen Mädchen mithilfe einer Puppe nahegebracht werden sollte. Von einer zusätzlichen Verkindlichung meiner Kindheit. Schliesslich will ein Kind nicht Kind bleiben, es will gross werden. Dass Barbie so ihre Probleme mit sich brachte mit ihren zugespitzten Brüsten und den in High Heels gegossenen Füssen, begriff ich erst später. Als Kind fand ich sie einfach nur wunderschön und einzig ihr Haar war mit dem meiner Julia identisch.

Einmal hat mir ein Nachbarmädchen eine alte Barbie geschenkt. Ich dachte, ich sei im Himmel, bis ich sie sah: Es war eine Barbie, mit der zu viel gespielt worden war, sie war zerkratzt, ihr Haar verfilzt und stellenweise ausgerissen. Meine Eltern hatten überhaupt nichts gegen sie einzuwenden. Ich versteckte sie traurig zuhinterst in meinem Schrank und verlebte weiterhin eine Barbie-freie Kindheit.

Lesen Sie weitere Episoden der «Glamour, mon amour»-Kolumne: