Nachdem die Gemeinde Geroldswil den Wahlcouverts für die Kantonsrats- und Regierungsratswahlen FDP-Flyer beigelegt hatte, reichten mehrere Personen Stimmrechtsrekurse ein. Diese hat die Justizdirektion nun beurteilt.
«Der Mangel wiegt schwer», schreibt die kantonale Direktion der Justiz und des Innern in ihrer Verfügung, die der «Limmattaler Zeitung» vorliegt. Mit der Verfügung hat die Justizdirektion zwei Stimmrechtsrekurse teilweise gutgeheissen.
Die beiden Rekurse richteten sich dagegen, dass die Gemeinde Geroldswil allen Wahlcouverts für ihre rund 3000 Stimmberechtigten jeweils einen FDP-Werbeflyer beigelegt hatte. Das war ein Verstoss gegen das kantonale Gesetz über die politischen Rechte. Aber die für den 12. Februar angesetzte Kantonsratswahl verschiebt der Kanton nicht, obwohl dies die Rekurrenten gefordert hatten. Zu den Rekurrenten gehören unter anderem Limmattaler Mitglieder der SP, der AL, der Grünen und der EVP.
Warum die Wahl nicht verschoben wird, steht in der von Regierungsrätin Jacqueline Fehr (SP) unterschriebenen Verfügung. Die Justizdirektion nahm die Wahlresultate von 2019 und rechnete damit ein hypothetisches Szenario durch. Und zwar so: 2019 erzielte die FDP in Geroldswil einen Wähleranteil von 22 Prozent. Würde sie diesen nun verdoppeln auf 44 Prozent, hätte sie dennoch keinen zusätzlichen Sitz. «Gestützt auf diese rein theoretische Einordnung kann davon ausgegangen werden, dass sich selbst ein stark auffälliges Ergebnis in der Gemeinde Geroldswil mit hoher Wahrscheinlichkeit weder auf die Sitzverteilung im Kanton noch im Wahlkreis VII (Dietikon) auswirken würde.» Dies hat damit zu tun, dass Geroldswil mit seinen rund 3000 Stimmberechtigten nur 0,3 Prozent aller Stimmberechtigten im Kanton Zürich ausmacht.
Hinzu kommt die grosse Verzögerung, die eine Wahlverschiebung nach sich ziehen würde. «Müsste die gesamte Wahl verschoben werden, könnte sie aufgrund der notwendigen Vorbereitungsarbeiten frühestens in einem halben Jahr stattfinden. Angesichts des laufenden Wahlkampfs wäre eine solche Verschiebung unverhältnismässig sowie für die Stimmberechtigten und die Kandidierenden in allen Wahlkreisen kaum zumutbar», heisst es in der Verfügung von Jacqueline Fehr weiter.
Von der Idee, die Wahl nur in der Gemeinde Geroldswil zu verschieben, hält die Justizdirektion auch nichts, denn dies sei wegen der Berechnungsmethoden des doppelt-proportionalen Sitzzuteilungsverfahrens bei der Kantonsratswahl gar nicht möglich.
Fazit: In der Verfügung steht nichts davon, dass der Kanton oder die Gemeinde Geroldswil nun noch etwas unternehmen muss. Der Kanton heisst die Rekurse aber immerhin teilweise gut. «Es ist festzustellen, dass die Gemeinde Geroldswil mit dem Versand des Wahlflyers der FDP die Wahl- und Abstimmungsfreiheit der Stimmberechtigten von Geroldswil verletzt hat. Im Übrigen sind die Stimmrechtsrekurse abzuweisen», lautet das Fazit der Verfügung.
Aus der Verfügung werden auch neue Details zum Geschehen klar. Zur Erinnerung: Am 23. Januar hat die SVP Bezirk Dietikon die Öffentlichkeit auf das Geroldswiler Flyer-Fiasko aufmerksam gemacht. Am 24. Januar hat die Justizdirektion die Gemeinde dazu aufgefordert, Massnahmen einzuleiten, «um die Stimmberechtigten über den unzulässigen Versand des Wahlflyers zu informieren und darauf aufmerksam zu machen, dass es sich beim Wahlflyer nicht um eine Wahlempfehlung der Gemeinde handelt». Ebenfalls am 24. Januar berichteten verschiedene Medien über den Vorfall, und Gemeindepräsident Michael Deplazes (parteilos) gestand auf TeleZüri ein, dass die Gemeinde einen Fehler gemacht hat, und er entschuldigte sich.
Die Gemeinde erklärte dem Kanton zudem am 24. Januar, dass sie auf ihrer Website eine Mitteilung aufschalte und das Volk auch mit einer amtlichen Publikation in der Grossauflage der «Limmattaler Zeitung» vom 26. Januar informieren werde. Der Kanton hiess dieses Vorgehen gut – aber am 26. Januar machte der Kanton eine Kehrtwende, nachdem er merkte, dass die amtliche Publikation nur rund 5,7 mal 5,7 Zentimeter gross war. Zudem sei der Titel der amtlichen Publikation nicht «aussagekräftig» gewesen. Die Justizdirektion teilte der Gemeinde mit, dass die bisherigen Massnahmen «unzureichend» gewesen seien und weitere Massnahmen ergriffen werden müssen.
Daraufhin informierte die Gemeinde Geroldswil die Justizdirektion, dass sie am 27. Januar 2975 Couverts mit Infoschreiben an die Stimmberechtigten an die Post übergeben habe. Das von Gemeindepräsident Deplazes und Gemeindeschreiber Karl Suter unterschriebene Infoschreiben liegt der «Limmattaler Zeitung» vor. Deplazes und Suter weisen darin nochmals darauf hin, was passiert ist, und schreiben dann: «Der Gemeinderat Geroldswil bedauert dieses unzulässige Vorgehen und entschuldigt sich in aller Form dafür.» Nun forderte die Justizdirektion keine weiteren Massnahmen mehr. Denn nun konnte sie – auch dank der vielen Medienberichte – davon ausgehen, «dass die allermeisten Stimmberechtigten ihre Stimme in Kenntnis der Unzulässigkeit des Versands des Wahlflyers der FDP abgeben konnten beziehungsweise können», wie es in der Verfügung der Justizdirektion heisst.
Ad acta legen lässt sich das Flyer-Fiasko damit noch nicht. So teilte die SP Limmattal als Rekursbeteiligte am Mittwoch zwar mit, dass sie zufrieden sei damit, dass ihr im Kernpunkt des Rekurses recht gegeben wurde. Aber: «Zentral ist nun für die SP Limmattal, dass die Geschehnisse in der Gemeinde Geroldswil transparent aufgearbeitet werden.» Sie will genau wissen, wie es dazu gekommen ist, dass die Gemeinde Geroldswil rechtswidrig FDP-Flyer in die Wahlcouverts gelegt hatte.