Kaufkraft
Grösster Verlust seit 1942: Warum die Inflation die Lohnerhöhung mehr als auffrisst

Trotz mehr Lohn im nächsten Jahr: Schweizerinnen und Schweizer werden sich damit weniger kaufen können. Die Inflation führt gemäss einer UBS-Umfrage zum höchsten Reallohnverlust seit 80 Jahren.

Reto Wattenhofer
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Mehr Lohn nützt kommendes Jahr unter dem Strich nichts: Auch der Einkauf im Supermarkt wird teurer. (Symbolbild)

Mehr Lohn nützt kommendes Jahr unter dem Strich nichts: Auch der Einkauf im Supermarkt wird teurer. (Symbolbild)

Keystone

Jedes Jahr befragt die UBS Unternehmen in der Schweiz über die erwartete Lohnerhöhung für das nächste Jahr. Die Zahlen für 2023 scheinen auf den ersten Blick vielversprechend: Die 290 befragten Unternehmen rechnen damit, dass die Nominallöhne kommendes Jahr im Schnitt um 2,2 Prozent wachsen werden. Das wäre der höchste Anstieg seit knapp 15 Jahren, wie die Grossbank in ihrer Mitteilung vom Dienstag betont.

Allerdings gibt es einen Haken: Nominal ist nicht real. Arbeitnehmende können sich von einer nominalen Lohnerhöhung nichts kaufen. Entscheidend ist, wie viel wert das Geld hat, wenn man es ausgibt. Spielverderberin ist dabei die Inflation: Steigende Preise fressen die Lohnerhöhung auf – und schmälern am Ende die Kaufkraft.

Nur jedes fünfte Unternehmen gleicht Inflation aus

Und die Teuerung ist ein grosses Problem: Seit der russischen Invasion in der Ukraine macht sie der Weltwirtschaft zu schaffen. Betroffen ist auch die Schweiz. So rechnen die UBS-Ökonomen im laufenden Jahr mit einer Inflationsrate von 2,9 Prozent.

Unter dem Strich führt das zu einem Reallohnverlust von 1,8 Prozent. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben trotz höherem Lohn im Schnitt 1,8 Prozent weniger in der Tasche. Das ist historisch: Gemäss UBS ist das der stärkste Rückgang beim Reallohn seit 1942, als der Zweite Weltkrieg in Europa tobte.

Ein Grund für den Reallohnverlust: Nur jedes fünfte Unternehmen gleicht die Inflation vollständig aus. Vorsichtig agieren sie vor allem, weil der Wirtschaft ein harter Winter droht. Selbst wenn es in den kalten Monaten allen Befürchtungen zum Trotz letztlich nicht an Gas und Strom mangeln sollte, belasteten die stark gestiegenen Energiepreise und die schwache Wirtschaftsentwicklung in Europa die Schweizer Konjunktur, heisst es in der Mitteilung. Die Folge wäre eine Stagnation oder gar leichte Rezession.

Robuster Arbeitsmarkt hilft

Eine schwere Rezession ist gemäss Einschätzung der UBS-Ökonomen allerdings nicht in Sicht. Die Haushalte könnten teilweise auf die während der Pandemie gebildeten Ersparnisse zurückgreifen, um die sinkende Kaufkraft aufzufangen. Auch stärke der robuste Schweizer Arbeitsmarkt der Wirtschaft den Rücken.

Erst gestern Montag gab das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) bekannt, dass die Arbeitslosigkeit auf tiefem Niveau verharre. Im Oktober betrug die Arbeitslosenquote 1,9 Prozent. Sie ist damit so tief wie seit über 20 Jahren nicht mehr.

Genereller Arbeitskräftemangel

Entspannung könnte es auch in anderen Bereichen geben: So erwartet die UBS, dass sich die Energiepreise stabilisieren und auch die coronabedingten Lieferengpässe abnehmen. Damit dürften die Preise für Importgüter wieder sinken.

Vor Herausforderungen gestellt werden die Firmen nicht nur durch die Inflation. Auch der Fachkräftemangel ist akut. Vier von fünf der befragten Unternehmen bekunden Mühe bei der Rekrutierung von Personal. Auch gewinnt der Personalmangel an Breite. Gaben 2016 nur 17 Prozent an, in mehr als einem von sechs Unternehmensbereichen Probleme bei der Stellenbesetzung zu haben, hat sich dieser Wert unterdessen auf 50 Prozent erhöht.