Wer bezahlt die hohen Rettungskosten bei Lawinenniedergängen? Das Inkassorisiko liegt bei der Rega. Den Luftrettern machen aber vermehrt zahlungsunwillige Ausländer zu schaffen.
Christoph Riebli
Wer weiss, was ein «Schweden-Taxi» ist? Der Gag ist alt, schon vor Jahren wurden damit die skandinavischen Freerider an der Brunnifasnacht gehänselt. Gemeint sind die oft ortsunkundigen oder aber besonders risikofreudigen Tiefschneefahrer, die Schneebretter und Lawinen auslösen und damit unweigerlich verbunden auch Rettungsflüge, um wieder sicher ins Tal zu kommen.
Besonders aktuell ist die Thematik durch die «erhebliche» Lawinengefahr nach dem Neuschnee der letzten Wochen: Am Laub war es jüngst ein Norweger, der eine Lawine auslöste und die Rettungskette auf Trab hielt. Im Einsatz standen vier Helikopter, 20 Helfer der Alpinen Rettung Schweiz (ARS) sowie drei Lawinenhundeteams. Nur einige Tage zuvor war es ein Schwede, der bei Trüebsee/Schlächtismatt von einer Lawine verschüttet wurde. Im Einsatz standen drei Helikopter, ein Dutzend ARS-Retter sowie Lawinenhunde. Und: Die oftmals gut ausgerüsteten Begleiter haben den Leichtverletzten in Windeseile ausgegraben, einer der beiden Skandinavier konnte sich gar selbst aus den Schneemassen befreien. Die offiziellen Retter suchten danach die Lawinenkegel mehrere Stunden ab, um weitere Verschüttete ausschliessen zu können.
«Das gibt eine teure Rechnung», sagt Marco Niederberger, Leiter der Verkehrs- und Sicherheitspolizei Obwalden, zum Laub-Einsatz. Er meint aber nicht die Polizeirechnung für die Tatbestandsaufnahme der Spezialisten der alpinen Einsatzgruppe. Einige hundert Franken würden dafür verrechnet, schätzt Niederberger über den Daumen. Teuer sind die Rettungskosten.
Genau beziffern kann die Rettungsflugwacht diese nicht. «Eine Helikopter-Flugminute kostet 89 Franken. Dazu kommen die Kosten für die alpinen Retter sowie für allenfalls zusätzlich aufgebotene kommerzielle Helikopter, die für den Transport der Retter und von Material benötigt werden», erklärt Rega-Sprecher Philipp Keller auf Anfrage. Das «Inkassorisiko» liege ganz bei der Rega.
Zurück zum Laub-Einsatz: Rechnet man nur schon die Flugminuten der vier Helikopter für An- und Rückflug hoch, dürften es mindestens 10 000 Franken sein, total aber eher das Doppelte.
Ist das Aufgebot mit vier Helikoptern nicht etwas übertrieben? «Bei einem Lawineneinsatz zählt jede Minute, da die Überlebenschancen von Verschütteten bereits nach kurzer Zeit rapide sinken», sagt Philipp Keller. Darum biete die Rega in jedem Fall sofort die notwendigen Mittel auf. Selbstredend, dass solche Einsätze teurer sind als ein durchschnittlicher Rega-Einsatz.
Laut Statistik der Rega verzeichnete sie in den vergangenen 15 Jahren zwischen 16 (2014) und 77 (2010) Lawinenunfälle pro Jahr. «Im Verhältnis zu den jährlich 10 000 Helikopter-Einsätzen der Rega also ein verschwindend kleiner Anteil», so Keller.
Die Kosten bleiben aber. Wer bezahlt die nun (siehe Kasten)? «Grundsätzlich bezahlen diejenigen Personen, respektive deren Versicherungen, die effektiv gerettet wurden», führt Philipp Keller aus. Doch: «Ging die Lawine über eine Skipiste, bezahlt oft der Betreiber der Bahnen. Bei verschütteten Strassen die betroffene Gemeinde oder der Kanton. In vielen anderen Fällen bezahlt niemand, und die Rega muss diese Kosten abschreiben.»
Wie hoch diese Abschreibungen jährlich sind, weist die Rega nicht aus – gerade im Zusammenhang mit der ausländischen Klientel. Auf entsprechende Nachfrage sagt Keller: «In den letzten Jahren haben die Schwierigkeiten mit zahlungsunwilligen ausländischen Patienten tendenziell zugenommen.» Im Ausland arbeite die Rega deshalb mit «spezialisierten Dienstleistungsunternehmen» zusammen. Und wie hoch ist nun der Anteil dieser säumigen Zahler? Eine offenbar unangenehme Frage für die Rega. Auf wiederholte schriftliche Nachfrage heisst es nur: «Die Rega kann diese Zahl nicht ausweisen.»
Wie sehen es eigentlich die alpinen Retter? Sie müssen schliesslich den eigenen Skitag bei besten Verhältnissen abbrechen, um Freerider zu retten, die das Risiko neben der Piste oftmals bewusst suchen? Retter seien keine Richter, sagt Hans von Rotz, der als ARS-Rettungschef in Engelberg an sämtlichen Einsätzen beteiligt war. «Meinen Rettern geht es ums Helfen.» Zudem sei das Engagement bei der ARS freiwillig, mit einer «kleinen» Entschädigung kompensiert. «Wenn meine Leute in der Nähe sind, kommen sie auch. Es kommt oft vor, dass wir alles stehen und liegen lassen müssen.» Über solche Einsätze habe sich bei ihm noch niemand beschwert.
Lawinen cri. Rund 150 000 Menschen sind gemäss der Suva jährlich abseits der gesicherten Pisten unterwegs. Über 200 Personen sind in der Schweiz in den vergangenen zehn Jahren von einer Lawine erfasst worden. Pro Jahr gibt es dabei im Schnitt 25 tödliche Unfälle, schreibt der grösste Schweizer Unfallversicherer im Internet.
Glimpflich endete das Abenteuer abseits der markierten Pisten Anfang Februar für vier Schweizer. Sie lösten am Steinberg im Titlis-Gebiet eine Lawine aus. Einer von ihnen musste daraufhin leicht verletzt ins Spital geflogen werden. Das sind die möglichen weiteren Konsequenzen:
Strafrecht: «Wer eine Lawine auslöst und andere Personen gefährdet, wird an die Staatsanwaltschaft verzeigt», erklärt Marco Niederberger, Leiter der Verkehrs- und Sicherheitspolizei Obwalden. Diesen Sachverhalt abzuklären, sei Aufgabe der Polizei. Unterschieden wird dabei nach «Fremd- und Selbstgefährdung», konkretisiert der Nidwaldner Staatsanwalt Alexandre Vonwil. Im konkreten Fall gehe man von Selbstgefährdung aus, was strafrechtlich belanglos sei.
Zivilrecht: Egal, ob der Verursacher einer Lawine «nur» sich oder auch andere gefährdet, zivilrechtliche Folgen sind in beiden Fällen möglich. «Die ganze Suchaktion kann ihm in Rechnung gestellt werden», sagt Marco Niederberger. Allenfalls kann es auch um Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen Gefährdeter gehen.
Doch wer bezahlt am Schluss die Rettungskosten? «Gemäss Unfallversicherungsgesetz übernimmt der Versicherer diese Kosten», sagt Anwalt Beat Frischkopf, Haftpflicht- und Versicherungsspezialist aus Sursee. Eine Unfallversicherung sei für jeden Berufstätigen in der Schweiz obligatorisch. Doch Vorsicht: Skifahren ausserhalb markierter Pisten gilt aus Sicht der Versicherungen als «Wagnis», so die Suva. Wer eine Pistenabschrankung absichtlich missachtet und verunfallt, müsse mit gekürzten Versicherungsleistungen rechnen. In besonders schweren Fällen werden Leistungen gar verweigert. Davon ausgenommen seien Kosten für die Rettung, Behandlung oder Transporte.
Und eine Hausfrau oder ein Student, die nicht automatisch unfallversichert sind? «Bei Unfällen in der Schweiz übernehmen hier die Krankenversicherer 50 Prozent, höchstens aber 5000 Franken der Rettungskosten jährlich», erklärt Frischkopf. Optional gebe es auch Zusatzversicherungen für Such- und Rettungskosten. Und zur Haftung für andere Verschüttete: «Bei grober Fahrlässigkeit muss der Verursacher unter Umständen einen hohen Teil der Kosten selber tragen.»