In seiner Kolumne hinterfragt «Kunstbanause» Primus Ettlin die abgedrehten Beschreibungen und übertriebenen Sinndeutungen, mit denen Künstlerinnen und Künstler ihre Ideen und Arbeitsprozesse versehen.
«Alles fliesst, alles bewegt sich. Dies geschieht dadurch, dass Material mit Material interagiert. Dabei werden immer alle Akteurinnen und Akteure verändert. Arbeite ich beispielsweise mit Gips, so modifiziere ich seine Form, er entzieht aber meinen Händen Feuchtigkeit. Wir haben uns gegenseitig beeinflusst.»
So beschreibt ein junger Künstler, was ihn an seiner Arbeit fasziniert. Ich lese diese Zeilen an einer Ausstellung, bei der junge Schweizer Kunstschaffende eine Bühne bekommen, um ihre Kunst zu präsentieren. Sehr vielseitig, sehr inspirierend, aber auch sehr skurril.
Im Ernst: Der Künstler und das Material beeinflussen sich gegenseitig? Mag wohl stimmen: Wer mit Gips arbeitet, hat trockene Hände. Trotzdem musste ich ab den Worten des Künstlers schmunzeln, da sie mir doch ziemlich aufgeblasen schienen. Von da an schenkte ich den Infotafeln, auf denen die Kunstschaffenden ihre Kunst erklärten und ihr Schaffen beschrieben, mehr Aufmerksamkeit als der Kunst selbst.
«Im Prozess ist nicht alles steuerbar und man muss manchmal die Kontrolle abgeben, was auch ein bereichernder Aspekt ist», schreibt die Künstlerin, die mit analogem Druckverfahren arbeitet. Ein wunderbarer Satz, mit dem jeder Fehler entschuldigt, fast schon glorifiziert werden kann.
Hätte ich diese Erkenntnis zu meiner Lehrzeit gehabt, so hätte ich meinem Ausbildner mit ruhiger, besonnener Stimme erklären können, dass im Prozess halt nicht alles steuerbar sei und ich die Kontrolle zuweilen gerne an die Tischfräse abgebe. Dies könne einen bereichernden Aspekt haben. Nur leider sehe das Möbelstück nun entsprechend elend aus.
Ein weiteres Schmankerl aus den Federn einer Künstlerin: «Besonders reizvoll ist für mich am Ende eine Kombination mit neuformbaren Materialien wie zum Beispiel Epoxidharz oder Kitt, um Verbindungen zu schaffen.» In Baustellensprache übersetzt: «Ohni Kitt, schaffi nit!» Das Credo der Gipser. Wenn die Verbindung nicht passt, weil man nicht konzentriert arbeitet – oder die Kontrolle abgegeben hat – dann kommt Kitt zum Einsatz und schon ist der Spalt aufgefüllt.
Meine Sprüche bezüglich der Parallelen zwischen der Arbeit der Künstlerinnen und Künstler und dem Alltag auf der Baustelle kamen nicht nur gut an. Ich verstünde es nicht, weil ich nicht weit genug denken würde, sagten mir meine Begleiter. Man solle sich zumindest die Mühe machen, die Kunst zu verstehen, bevor man urteile. Der Ursprungsgedanke. Die tiefere Bedeutung. Die politische Botschaft dahinter.
Und sie haben natürlich recht. Ich habe sicherlich nicht alles verstanden und mich vielleicht zu Unrecht über manches lustig gemacht. Doch «ich meinti», auch wenn die Kunst ihren Namen verdient hat und vieles an dieser Ausstellung sehenswert war, sollten die Künstlerinnen und Künstler ihre Ideen und Arbeitsprozesse einigermassen nüchtern darstellen, statt mit abgedrehten Beschreibungen und übertriebenen Sinndeutungen jegliches Wohlwollen von Kunstbanausen zu verspielen. Freundlichste Grüsse, ein Kunstbanause.
Primus Ettlin, Student, Engelberg, äussert sich mit anderen Autoren zu einem selbst gewählten Thema.