Ich meinti
Wasser, Wein … und Widerspüche

Kolumnist Romano Cuonz über Spruchweisheiten und die irre Zeit, in der wir leben. Er fragt sich, ob es überhaupt noch Menschen gibt, die stets das tun, was sie sagen.

Romano Cuonz
Romano Cuonz
Drucken
Romano Cuonz, Kolumnist und freier Mitarbeiter.

Romano Cuonz, Kolumnist und freier Mitarbeiter.

Bild: NZ

Viele glauben, dass die Redensart «Wasser predigen und Wein trinken» aus der Bibel stammt. Weit gefehlt: Die vier Evangelisten waren viel zu klug, und hinsichtlich der Machenschaften ihrer Nachfolger auch weitsichtig genug, als dass sie sich mit solchen Worten die Finger verbrannt hätten. Nein, es war Heinrich Heine, der mit dieser Spruchweisheit das Verhalten des himmlischen Bodenpersonals anprangerte. Könnte er miterleben, wie eklatant Diskurs und Praxis in der heutigen Gesellschaft – weltweit und in nächster Umgebung – auseinanderklaffen, würde er seine Gedichtzeile wohl noch auf einige weitere Erdenbürger münzen. Tatsache ist: wir leben in einer irren Zeit, die Widerspruch tagtäglich hervorruft. Aktuelle Beispiele gefällig?

Schaut man über die Grenzen, kann einem nicht entgehen, wie Russlands Präsident Wladimir Putin und seine Oligarchen ihren Zwangssoldaten predigen, dass echte Patrioten fürs Vaterland durch die Hölle gehen und sogar sterben. Derweil vergnügen sich diese Mächtigen auf Datschas und Luxusjachten. Ihr auf Kosten des Volks gehortetes Geld aber ist in Schweizer Banken sicher aufgehoben.

Apropos Schweizer Grossbanken: Auch da ist Widerspruch an der Tagesordnung. Lusche Manager liessen sich jahrelang astronomische Boni auszahlen. Gedacht für Erfolg bringende Arbeit! Stattdessen führten sie ihre Institute an den Rand des Abgrunds.

Selbst Alain Berset, Bundespräsident unserer braven Schweiz, verwickelt sich noch und noch in Widersprüche. Mit der SP propagiert er im Parteiprogramm auf die Wahlen hin eine Verminderung des Individualverkehrs und Förderung des Langsamverkehrs. Und was tut er? Er flitzt im Privatjet über die Grenze und lässt sich dabei von der französischen Polizei auch noch ertappen.

Aber man braucht nicht einmal so weit zu gehen, um Widersprüchen zu begegnen. Rundherum werden, unter dem Vorwand, dass jetzt verdichtetes Bauen angesagt sei, Altbauten abgerissen und Gärten vernichtet. So weit, so gut. Doch als Ersatz entstehen oft Neubauten mit Wohnräumen, gross wie Schlittschuhfelder, die sich Normalverdiener gar nicht leisten können. In Skigebieten beklagt man sich lautstark über Schneemangel wegen des Klimawandels. Handkehrum werden Pisten mit Schneekanonen generiert, die Millionen Liter Wasser und viel Energie benötigen. Zum Lohn dafür erwartet man Touristen, die in Tausenden Autofahrten, durchs Engelberger- oder Melchtal, anreisen.

Und … bin ich ehrlich, müsste ich auch mich selbst an der Nase nehmen. Was habe ich als Achtundsechziger bei Studentenveranstaltungen und in einschlägigen Publikationen Wasser gepredigt und dann – ein paar Jahre danach bei steigendem Wohlstand – immer lieber auch das eine oder andere Glas Wein getrunken.

Ja, gibt es denn heutzutage überhaupt noch Menschen, die stets das tun, was sie sagen, und das sagen, was sie tun? Um in unserer Zeit mit einer solchen Haltung bestehen zu können, muss man sehr selbstsicher sein. Oder unantastbar berühmt! Da fällt mir nur ein Beispiel ein: Unser aller Goldkind Marco Odermatt! Er darf getrost eingestehen, dass er lieber mit dem Privatjet als mit dem Zug von Ort zu Ort reist. Oder, dass er nach wahrlich nicht so seltenen Siegen auch mal ein, zwei Bierchen trinkt. Um es mit seinen Worten zu sagen: Äs wär äifach huärä geil, äister ai das z’ sägä, was mä tänkt!