Kolumnistin Ruth Koch über die Tücken des Pilzsuchens.
Ich hatte ihn verloren. Wir waren verschiedene Wege gegangen, mein Mann und ich, beim Pilzesuchen. Die Schuld lag bei mir, denn ich hatte das Handy zu Hause liegen lassen. Die Kommunikation war lahmgelegt. Anstelle von Pilzen suchte ich also meinen treuen Begleiter – und er mich. Der Suche nach meinem Mann gab ich an diesem Tag höchste Priorität und liess das Sammeln von Pilzen sein. Das will etwas heissen. Denn ich gehöre zur Gattung der Jäger und Sammler. Das Jagen liegt zwar tief schlummernd nur in den Genen. Das Sammelfieber jedoch steigt im Herbst während der Pilzsaison. Steinpilze für die Holzofenpizza im Winter, gebratene Eierschwämmli auf dem Salatteller oder Kraterellen in einer Rahmsauce sind die kulinarischen Trophäen.
Selbstverständlich geht’s beim Pilzesammeln um das essbare Gewächs, jedoch nicht ausschliesslich. Visuelle Eindrücke, Gerüche sowie Empfindungen sind schöne Nebeneffekte auf den Touren. Ich geniesse das Gehen auf weichem, bemoostem Waldboden, den speziellen Duft von Walderde oder Fichtenharz, das Bild von zunehmend gefärbten Ebereschenblättern oder die Formen verschiedener Flechten an Stämmen und Steinen.
Den Blick auf die nächste Umgebung fokussiert, in steilem oder wenig begangenem Gelände, stosse ich öfter auf allerlei Fundgut. Eine Schuhsohle, Marke unbekannt, Grösse 44, das Profil wie neu, Material eher brüchig, deutet auf einen männlichen Wenigwanderer hin. Das Sporthemd, langärmlig, 100 Prozent Polyester, Grösse M, Farbe Jägergrün, von Nagern mit Frassspuren zersetzt, könnte schon in der vorletzten Jagdsaison vom Rucksack einer fitten Jägerin geglitten sein. Ein Stahlseil mit Schlaufe, säuberlich aufgerollt, halb durchgerostet, mutmasslich zum Fixieren eines Habeggers an einem Baum, wurde sicherlich bereits vor Jahren von Forstarbeitern vergessen. Ein Abfallhaufen mit Weinflaschen, Nescafé-Gläsern sowie rostigen Büchsen nahe einer Alphütte, versteckt im Wald hinter einem Felsblock, zeugt vom fehlenden Recycling-Bewusstsein vergangener Jahrzehnte.
Was mich jeweils am meisten irritiert, sind die Papiertaschentücher am Wegesrand, neben Bäumen und hinter Holzlagern. Ich verstehe, dass die Notdurft den Menschen unverhofft heimsucht. Aber einfach alles so offen liegenzulassen, ist eine Zumutung. Noch unangenehmer wird es auf Alpweiden, wo neuerdings vermehrt Menschen auf der Suche nach Naturerlebnissen die Nächte verbringen. Wie mir ein Älpler diesen Sommer geschildert hat, sind die Hinterlassenschaften zunehmend zu einem übelriechenden und weitverteilten Problem geworden. Wie können diese Leute nur so rücksichtslos sein? «Ich meinti»: Wer das Naturerlebnis sucht, tut dies mit Respekt und räumt hinter sich auf.
Unsere Krisensituation beim Pilzeln ging übrigens gut aus. Dank sachdienlichen Hinweisen eines Sportwanderers, der Vermittlung einer Berggastwirtin und den Fahrdiensten eines Älplers fanden wir wieder zueinander. Das Pilzesammeln schlossen wir an diesem Tag erfolglos ab, gönnten uns dafür in der Bergbeiz zufrieden Kaffee mit Schoggikuchen.