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Für Max und Agnes Bissig geht ein besonderer Alpsommer zu Ende. Es war ihr Letzter. Neben Wehmut kommt auch grosse Dankbarkeit auf. Denn sie erfüllten sich als Senioren einen Lebenstraum.
Saftige Weiden, Tannen, Berge, die hinteren in das gelblich-orange Licht der Abendsonne getaucht: Die Aufnahme, auf der Nünalp entstanden, erinnert Max und Agnes Bissig in ihrer Wohnung an einen besonderen Abschnitt ihres Lebens. Vier Sommer lang konnten sie als Älpler dieses Bergpanorama live geniessen. Vor ein paar Tagen endete ihre letzte Alpzeit auf rund 1700 Metern über Meer.
«Im Herbst kommt für jeden Älpler die Zeit des Abschiednehmens. Wehmut und Dankbarkeit kommen auf, denn wir blieben von Unglücken verschont. Das Vieh konnten wir immer gesund zurück ins Tal begleiten», blickt Agnes Bissig zurück.
Sie spricht von einer gemütlichen, aber auch sehr verantwortungsvollen Aufgabe. Rund 70 Rinder durfte das Ehepaar auf der Weide beaufsichtigen, die Alphütte in Schwung halten, Zäune bei Bedarf reparieren und die Weide von Unkraut und Sträuchern säubern. «Wir konnten unsere Zeit frei einteilen, das schätzten wir sehr», meint Agnes Bissig. Einen Fernseher gab’s nicht, Strom erst seit zwei Jahren, dank Solarzelle auf dem Dach. Gekocht wurde auf einem Gaskocher: Das schreckte die Bissigs nicht ab. «Die Natur, die Freiheit, die Einfachheit und der Ausblick, das machte das Leben auf der Nünalp aus. Wir sassen wie auf einem Thron», schwärmt Max Bissig. «Auch die gute Zusammenarbeit mit unserem Chef, dem Alppächter Albert von Deschwanden, schätzten wir sehr.»
Ihre Liebe zu den Bergen wurde den Bissigs sozusagen in die Wiege gelegt. Beide wuchsen auf Bergbauernhöfen im urnerischen Bürglen auf. Den Sommer verbrachten sie auf der Alp Galtenäbnet. «Dort wären wir am liebsten das ganze Jahr geblieben», erinnert sich Agnes Bissig. Es kam anders. Sie heirateten und führten einen Bauernhof, zuerst in Ennetbürgen, danach in Kriens. Vor acht Jahren, Max Bissig war mittlerweile 62 Jahre alt, gaben sie den Betrieb auf und zogen erst nach Kerns, dann nach Giswil.
Das Älplerleben hatten sie schon an den Nagel gehängt, als vor vier Jahren eine Anfrage kam, allerdings aus einem traurigen Anlass. Der Älpler auf der Nünalp war verstorben, der Alppächter suchte einen Nachfolger. Die Bissigs ergriffen die Chance, betraten in gewissem Sinne Neuland. «Wir wussten zuvor nicht einmal, wo die Nünalp überhaupt liegt», lacht Agnes Bissig.
Die Abgeschiedenheit der Alp schreckte die Bissigs nicht ab. Immerhin muss man nach einer halbstündigen Autofahrt von Giswil zur Alp Ober-Unterwengen noch rund 20 Minuten zu Fuss gehen. Diesen Weg nahm Agnes Bissig mehrmals pro Woche auf sich, um alle ihre Jobs unter einen Hut zu bringen. Denn ihre Teilpensen bei einem Buochser Tierarzt als «Mädchen für alles», bei der Alpnacher Kirchgemeinde als Pfarrhaushälterin und als Sakristanin für die Kapelle im Giswiler Kleinteil hatte die 61-Jährige auch während der Alpsommer inne.
Weil die Hütte an beliebten Wanderrouten liegt, kam das Paar auch immer wieder mit Wanderern ins Gespräch. «Für diese wertvollen Begegnungen haben wir uns immer Zeit genommen und den Besuchern von unserem Leben auf der Alp erzählt», erinnert sich Agnes Bissig. Die Reaktionen seien unterschiedlich ausgefallen. «Die einen sprachen von einem schönen Plätzchen, andere gestanden, dass so etwas gar nichts für sie wäre.» Oft gab’s Besuch von einem der elf Grosskinder. Einem Enkel habe es die Alp besonders angetan. «Er verbrachte seine ganzen Sommerferien auf der Nünalp.»
Nun haben die Bissigs also einen Schlussstrich unter das Kapitel gezogen. «Mit 70 Jahren ist es Zeit, aufzuhören», begründet Max Bissig. «Jetzt geniessen wir das Leben zu Hause in Giswil. Aber wenn auf der Nünalp Not am Mann sein solle, würden wir schon vorübergehend einspringen», verspricht er.