Erstmals wird «Obwaldner Material» für die Seeschüttung im Alpnachersee verwendet und beim Hochwasserstollen verlässt die Tunnelbohrmaschine eine technisch anspruchsvolle Zone, die für Verzögerungen und Mehrkosten sorgt.
Beim Bau der Neat wurde die Idee erfolgreich umgesetzt. Geeignetes überschüssiges Ausbruchmaterial wurde im Urnersee in Ufernähe geschüttet und damit eine naturnahe Insellandschaft geschaffen. Das erfolgreiche Projekt stand Pate, als im Kanton Obwalden die Frage im Raum stand, wohin mit dem anfallenden Material aus dem Bau des Hochwasserentlastungsstollens Sarneraatal. Anstoss gaben die Überlegungen, das anfallende Aushub- und Ausbruchmaterial kostengünstig und umweltverträglich zu verwerten und so Synergien zu nutzen. Ein Teil des Materials ist nämlich als Baustoff wiederverwertbar – vor allem das Schrattenkalk-Material aus den ersten 2,2 Stollenkilometern. Für etwa 140'000 Kubikmeter dagegen hätte es aber nur die Möglichkeit der Ablagerung auf einer Deponie gegeben.
Und so entstand schliesslich das Projekt «Aufwertung Südufer Alpnachersee». Obwalden schäme sich kein bisschen, die Idee den Urnern abgeschaut zu haben, scherzte Baudirektor Josef Hess am Donnerstagmorgen am Ufer des Alpnachersees: «Die Urner haben immer wieder gute Ideen, vor mehr als 700 Jahren haben sie ja auch geholfen, die Eidgenossenschaft zu gründen.»
Beim Südufer des Alpnachersees führte der intensive Abbau von Kies und Sand über Jahrzehnte zu tiefen Baggerlöchern und zum Verlust von Flachwasserzonen und Flachmooren. Mit dem Aushub- und Ausbruchmaterial werden diese Gebiete nun wieder aufgefüllt. Dadurch wird auch der Natur- und Erholungsraum am Alpnachersee aufgewertet. Es entstehen neue Flachmoorflächen, die als Kompensation für Flachmoore genutzt werden können, welche bei anderen Wasserbauprojekten beeinträchtigt werden. «Damit kann auch Kulturland geschont werden. Anstatt ökologisch notwendige Flachmoorflächen im wertvollen Kulturland zu schaffen, entstehen diese im See», erklärte Josef Hess einen für ihn wichtigen Vorteil des Projekts.
Das überschüssige Ausbruchmaterial des Hochwasserentlastungsstollens deckt knapp die Hälfte des Materialbedarfs. Die andere Hälfte ist bereits abgelagert und stammt aus dem Projekt Kraftwerkserneuerung Ritom (TI). Mit diesem wasserbeständigen Material, das seit Juni 2019 per Bahn und in 890 Schiffsfahrten angeliefert wurde, erfolgten Schüttungen, hinter denen nun das Material aus dem Stollen verwendet werden kann. «Die Schüttungen sind bis jetzt absolut problemlos verlaufen und die Trübungen lagen immer im Rahmen der erlaubten Toleranzen», betonte der Baudirektor. Dieser Projektteil, für den der Kantonsrat ursprünglich 11 Millionen Franken sprach, liegt bisher völlig im Kostenrahmen.
Die Seeschüttungen mittels Schiff enden in diesen Wochen. Nun starten die Schüttungen mit Material aus dem Stollenvortrieb. Das Ausbruchmaterial aus dem rund drei Kilometer entfernten Hochwasserentlastungsstollen wird auf der Strasse entlang der Sarneraa per Lastwagen zum Alpnachersee gefahren. Während rund eines Jahres werden durchschnittlich täglich 80 Fahrten dafür nötig sein. Am Donnerstag wurde der Arbeitsablauf erstmals vorgeführt. An der Aufschütti am Hinterberg erfolgt der Umlad von den Lastwagen auf grosse Baustellendumper. Diese bringen das Material über Baupisten zu den Schüttstellen in der Mündungsbucht der Sarneraa.
Die Schüttungen werden teilweise knapp über den mittleren Pegel des Alpnachersees ragen. «Es gibt zwar – trotz des Namens ‹Südufer Alpnachersee› – keine Südseestrände mit Bars und frivolem Strandleben, aber eine spannende Wasserlandschaft, an der sich Wanderer und Naturliebhaber erfreuen können. Wir planen auch den Bau einer drei Meter hohen Beobachtungsplattform, die einen noch besseren Einblick in die Tier- und Pflanzenwelt der Gegend ermöglicht», beschrieb Josef Hess die entstehende Landschaft.
Auch beim Hochwasserentlastungsstollen ist ein wichtiger Meilenstein erreicht. Der Vortrieb durch das technisch anspruchsvolle Schrattenkalkgestein ist abgeschlossen. Nun erreicht die Tunnelbohrmaschine (TBM) weichere Schiefer- und Mergelschichten. Auf den ersten 2200 Meter im Schrattenkalk haben hartes Gestein, Klüfte und Wassereinbrüche immer wieder den Vortrieb erschwert und gebremst. Am 19. Mai hat die TBM bei Tunnelmeter 1359 einen mit Wasser gefüllten Karsthohlraum angebohrt, aus welchem seither etwa 200 Liter Wasser pro Sekunde in den Tunnel strömt. Aufgrund der grossen Wassermenge musste der Vortrieb unterbrochen werden. Mit Bohrungen in die wasserführende Felszone wurde das austretende Wasser hinter dem Bohrkopf aufgefangen und an der Maschine vorbei in Richtung Auslaufbauwerk geleitet.
Die finanziellen Folgen der Verzögerungen und der zusätzlichen Massnahmen können zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beziffert werden. «Dazu laufen beim Kanton und beim Unternehmer Abklärungen und Berechnungen. Anschliessend folgen Verhandlungen», erklärte Josef Hess das weitere Vorgehen. Ohne diesem Prozess vorgreifen zu wollen, schätzte er, dass es sich wohl um einen einstelligen Millionenbetrag handeln dürfte. Im Werkvertrag gibt es Vorgaben, welcher Wassereinbruch und welche Gesteinshärte der Norm entsprechen. Wenn diese Normen überschritten sind, kann der Unternehmer Nachforderungen stellen, erklärte Josef Hess den Vorgang.
Die zeitlichen Verzögerungen belaufen sich zurzeit auf knapp vier Monate. Somit wird der Durchschlag in Sachseln nicht wie ursprünglich gemäss Bauprogramm geplant im Juni 2022, sondern im Oktober 2022 stattfinden.