Sind Tomaten voller Keimlinge wirklich giftig und so selten, wie ein Fachmann sagt? Diese Fragen bewegten Leser von Buochs bis Weggis. Eine Frau wollte es ganz genau wissen.
Markus von Rotz
markus.vonrotz@obwaldnerzeitung.ch
Der laut einem Spezialisten seltene Fund einer Tomate voller Keimlinge in einem Garten in Alpnach hat unsere Leser bewegt und zu hohen Online-Klickzahlen geführt (wir berichteten). Bigi Lindegger aus Ebikon schrieb, auch sie habe vergangenes Jahr solche gehabt. Teilweise seien die Keimlinge gar durch das Fruchtfleisch hindurch gewachsen. Allerdings könne sie nicht mehr sagen, ob die Tomate aus dem eigenen Garten oder aus dem Laden war. Elisabeth Zurmühle aus Weggis hat Ende Oktober ebenfalls solche Tomaten zu Hause entdeckt. «Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich diese Tomaten sicher nicht auftischen sollte.» Ihre stammten von einem Grossverteiler. Schliesslich hatte Priska Wicki aus Buochs vor einem Jahr auch solche Tomaten im eigenen Garten.
Alex Mathis, Dozent in Hortikultur für Gemüsebau und biologische Landwirtschaft an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften in Winterthur, hatte gegenüber unserer Zeitung erklärt, dass solche Tomaten selten auftreten und zudem empfohlen, diese wegen des giftigen Solaningehalts nicht zu essen. Das Phänomen erklärte er so: «Fällt eine Tomate auf den Boden, beginnt eine Art Gärungs- und Abbauprozess. Der Samen in der Tomate erhält auf biochemischem Weg die Information, dass sein Wachstum nun mit der Vorbereitung zur Entwicklung der Keimfähigkeit abgeschlossen ist.»
Die Überreife oder aussergewöhnliches Klima könnten in Einzelfällen dann zur Samenkeimung bereits in der Frucht führen. Priska Wicki hatte im Internet gelesen, dass solche Tomaten schon 2005 entdeckt worden seien und der Konsumentenschutz Schweiz sie für geniessbar halte. Sie wollte es darum genauer wissen und nahm mit unserem Spezialisten Kontakt auf. Sie wollte von ihm insbesondere den Widerspruch geklärt haben, ob die Tomaten nun giftig seien oder gegessen werden dürften.
Mathis hatte seinerzeit im Fall der von einer Alpnacher Hausfrau gefundenen Tomate gesagt: «Ich würde sie nicht essen, weil sie Solanin enthalten kann, ein natürliches Gift, das Bauchschmerzen auslösen kann.» Auf Nachfrage unserer Leserin ergänzt er, es gebe verschiedene sogenannte Solanum-Glykoalkaloide, die man in der Regel populärwissenschaftlich als Solanin bezeichne. Man kenne das auch in Kartoffeln (Alfa-Tolanin). Bei der Tomate spiele dieser Stoff «eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Schadinsekten, -mikroorganismen und anderen Schädlingen. Eine Solaninbildung der Kartoffeln unter Lichteinfluss soll die Kartoffel vor dem Gefressenwerden schützen.»
Zum Thema Giftigkeit präzisiert er: «Einzelne Sprossaustriebe in Tomaten werden keine toxischen Symptome auslösen. In kleinen Massen konsumiert, werden grüne Tomatensprossteile dem Menschen nicht gefährlich werden. Ich bin einfach persönlich der grundsätzlichen Meinung, dass auf diesen Konsum verzichtet werden soll.» Der Konsum von Tomaten- oder auch Kartoffelsprossteilen sei nämlich «nicht grundsätzlich unbedenklich».
Für das Auskeimen von Samen in der Tomate seien «mit Sicherheit hormonelle Prozesse verantwortlich», sagt Mathis weiter. In der Regel würden verschiedene Stoffe in Balance zueinander stehen, die ein vorzeitiges Keimen verhindern. «Aus irgendwelchen Gründen gerät dieses Hormongleichgewicht durcheinander. Dabei können noch weitere organische Stoffwechselprodukte in der Pflanze einen Einfluss haben.» Dafür könne auch ein Gendefekt verantwortlich sein, auch Umwelteinflüsse wie die Temperatur und das Licht spielten eine Rolle. «Was die genaue Ursache ist für eine vorzeitige Keimung, müsste im Einzelfall pflanzenphysiologisch analysiert werden», sagt Mathis.