In pädagogischen Fachkreisen findet das diesjährige Projekt der Grundacherschule in Sarnen Beachtung. Die, um die es geht, dürfen selber sagen, wie ihr Unterricht aussieht. Sie nennen es «Schulwerk».
In der «Macherei» näht Selma ihrem Stofftier, einem Marienkäferchen, einen neuen Fühler. Thomas schleift an der Klinge seines von ihm gefertigten Messers, und Mattia zeichnet mit Bleistift an einem perfekt dargestellten menschlichen Auge. In einem anderen Raum malen Amun und Sinan mit ihren Mitschülern und Mitschülerinnen «Flafys». Rund um ihre selbst erfundenen Wesen haben sie eine ganze Welt ersonnen. Heute geben sie einen Zeichenkurs.
Drei Wochen lang gestalten die 62 Kinder und Jugendlichen der Grundacherschule in Sarnen ihre Schule selber. Der Schulrat besteht aus 20 Schülerinnen und Schülern. Sie bestimmen die Unterrichtsstruktur, Inhalte und Regeln. Was dabei herauskommt, nennen sie «Schulwerk».
Die 4- bis 16-Jährigen haben freie Wahl zwischen Kursen, die Einzelne von ihnen aus ihrem Know-how anbieten. Dazu gehören ein Schach-Crashkurs, ein Fussball-Golf, ein Kurs zum Geschichtenhören und -schreiben, ein Tanzkurs und einer zum Thema «Stromkreis». Immer am gleichen Tag zur gleichen Zeit finden Clubs statt, in denen die Kinder und Jugendlichen werken, gestalten, Rollschuh laufen, Sport treiben, tanzen oder debattieren. In extra definierten Räumen wird gelesen, still gearbeitet oder gechillt. Erstaunlich: Der Gaming-Raum ist an diesem Morgen leer. Der Schulrat hat bestimmt, dass jeder vier Stunden gamen darf - insgesamt in allen drei Wochen. Auch das Handy bleibt aus.
Die Schülerinnen und Schüler freuen sich über ihre eigene Schule. «Es ist toll, dass wir unsere Sachen machen können», sagt Amun Martin. Ihm gefalle die eigene Schule besser. Auch Finn Britschgi und Emma Appius, Schulleiter der Oberstufe, sehen das so. Sie alle würden nach den Osterferien aber auch gern wieder in ihre Schule gehen, wie sie sie kennen.
Schliesslich haben sie schon jetzt in der zweiten Projektwoche die Erfahrung gemacht, dass es stressig sein kann, eine Schule zu leiten. «Es ist anstrengend, wenn alle etwas wollen», berichtet die 14-jährige Emma. «Man muss mega viel organisieren, Lehrer müssen natürlich noch grössere Entscheidungen treffen», ist sie sich bewusst. Der 16-jährige Finn hat sich schnell angewöhnt, alles möglichst gleich zu erledigen. Er ist sogar überrascht, dass das grössere Chaos ausgeblieben ist.
Beide sind überzeugt, dass alle vom Projekt profitieren. «Es fördert den zwischenmenschlichen Zusammenhalt zwischen sehr vielen unterschiedlichen Altersgruppen», betont Finn. «Man lernt Teamarbeit, lernt, zu organisieren und E-Mails zu schreiben», zählt Emma auf. Beide haben gelernt, nicht alles selber übernehmen zu müssen.
Eigentlich sei man über eine Ausstellung des Berner Schulmuseums zu dem Thema gekommen, berichtet Victor Steiner, der Co-Leiter der Grundacherschule. Es gehe darum, dass sich die Kinder Gedanken darüber machten, was für sie wichtig sei. «Wir erhoffen uns davon auch einen Impuls für die eigene Schulentwicklung», sagt Steiner.
Die Frage, welche Schule sich eigentlich die Kinder wünschen, sei auch für sie sehr spannend, erzählt Yvonne Odermatt, Lehrerin in der Mittelstufe. Bereits in den Vorbereitungen hätten Kinder geäussert, diese müsse weit weg von den Eltern sein, mit den Freunden und viel Sport stattfinden. Der laufende Prozess sorge nun für rege Diskussionen unter den Kollegen. «Es ist eine Gratwanderung, inwieweit man sie unterstützt oder es laufen lässt mit der Gefahr des Scheiterns», berichtet Odermatt.
Aus Fehlern lernen die Kinder. Und auch die Erwachsenen: Bereits jetzt stellt die Schulleitung fest, dass die Räumlichkeiten im Projekt optimaler genutzt werden, sich die Kinder besser auf diese verteilen. Auch die Grundacherschülerinnen und -schüler haben einen Lehrplan. «Was sie hier lernen, steht im Lehrplan. Wenn jemand sich nicht für ein Thema interessiert, ist es auch nicht nachhaltig.»
Ein Blog auf Linkedin von Co-Schulleiterin Karin Anderhalden findet in pädagogischen Fachkreisen Beachtung. Endlich würden einmal die gefragt, um die es gehe, wird da gelobt. Oder es sei wichtig, dass die Kinder selber etwas bewirken könnten, um ihr Leben zu gestalten – und fürs Lernen.
Die Erfahrungen der Grundacherschule auf www.schulwerk.ch